
Tanzgruppenleiterin Rebecca Sommer (dritte von links) mit Mädchen von der AG F+M Flüchtlingstanzgruppe “Heimatsterne”.
Seit Jahren bringt die AG F+M Tanzgruppe Leben und Freude in die Flüchtlingsunterkünfte. Seitdem sie aber ihre Tanzgruppe zu einer gemischte Gruppe machte, mit männlichen als auch weiblichen Kindern und Jugendlichen, hat die ehrenamtlich tätige Tanzgruppenleiterin Rebecca Sommer erheblich mehr Arbeit. Denn fast alle muslimischen Heimbewohner verbieten ihren Töchtern jeglichen Umgang mit Jungs.
Aber gerade die Mädchen liegen Tanzgruppenleiterin Rebecca Sommer ganz besonders am Herzen.
“Ich muss mich fast täglich mit dieser religiös-kulturell bedingten Geschlechtertrennung auseinandersetzten. Es macht mich oft unglaublich traurig. Es sind immer die Mädchen die darunter leiden müssen. Sie dürfen nichts, die Jungs alles. Die Mädchen werden von kleinauf an darauf getrimmt sich unterzuordnen, was die Entwicklung zu einem gesunden Selbstbewusstsein verhindert.”
Guter Kontakt, das Vertrauen der Eltern zu Rebecca ist der Schlüssel. Damit sie ihrer Tochter überhaupt erlauben, bei unserer Tanzgruppe mitzumachen.
“Ich habe immer wieder die Situation, dass ein weinendes Mädchen mir erzählt, sie darf nicht mehr kommen. Weil jemand im Heim die Eltern rügte, das es sich nicht schickt einem Mädchen zu erlauben gemeinsam mit Jungs zu tanzen. Und schon ist da wieder das Verbot.”
Aber auch wenn nur Mädchen zusammen tanzen, dürfen Kinder mit fundamental religiösen Eltern nicht mitmachen.

Kleines muslimische Mädchen schaut sehnsüchtig einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen beim tanzen zu. Sie darf nicht mitmachen, weil es für ihre strenggläubigen Eltern „Haram“ ist. Foto © Rebecca Sommer
„Ich habe eine Situation mit einem kleine Kind nicht vergessen. Das ist schon Jahre her. Sie stand an der Glastür, als einige Mädchen aus dem Allende Heim den Kerzentanz von unserer Tanzgruppe probten. Diese kleine Maus hatte schon ein Kopftuch auf, und ich sah wie ein weiblicher Arm sie ziemlich brüsk von der Tür wegzerrte. Wenn ich dann irgendwann wieder schaute, stand sie wieder da. Und schaute so traurig. Ihren sehnsüchtigen Blick, den werde ich nie vergessen. Und dann kam wieder der Arm, der sie wegzerrte. Ich versuchte zwar mehrmals mit der Mutter zu reden, aber die hatte anscheinend nichts als Verachtung für mich oder uns über. Sie war hochverschleiert, nur die Augen schauten aus dem schwarzen Stoff heraus.“

Kerzentanz, ganz spontan in der Küche eines Flüchtlingheimes, mit Mädchen von unserer AG F+M Tanzgruppe. Foto © Rebecca Sommer
In einer Flüchtlingsunterkunft mit 200, oder gar 500 Bewohnern, findet sich manchmal nur eine einzige Familie, die ihrem Mädchen überhaupt erlaubt zu den Tanzproben zu kommen. So streng sind die muslimischen Regeln. Die Frau ist dem Mann untergeordnet, der Bruder, der Vater bestimmt. Das Mädchen hat zu Hause zu bleiben, ihr wird fast alles verboten. Die Söhne wiederum dürfen machen was sie wollen, und werden behandelt wie kleine Prinzen. Und ihre Schwestern müssen sie bedienen, und ihnen gehorchen.
So ist es schon ein kleines Wunder, dass es überhaupt unsere gemischte Tanzgruppe gibt.

Rebecca Sommer’s AG F+M Tanzgruppe beim Proben in der Flüchtlingsunterkunft Rudowerstrasse Foto © Rebecca Sommer
Rebecca Sommer bemüht sich um jedes Mädchen. Besucht die Eltern, redet mit ihnen, und verspricht wie ein Luchs auf “Ihre Tochter” aufzupassen. Und argumentiert für die Annäherung, ein anderes Leben für die Mädchen hier in Deutschland. Manchmal kann sie den einen oder anderen Vater wieder umstimmen. Durch einen Besuch in der Unterkunft, und nach vielen gemeinsam getrunkenen Tee’s. Oder einen Vater ermutigen, dessen Tochter hoffnungsvoll auf seine Antwort lauert, ihre Teilnahme bei unserer Tanzgruppe zu erlauben.
“Es sind teilweise wirklich zähe Verhandlungen, und endlose ermüdende Debatten über den Koran, die Sharia, das religiöse Gesetz des Islam. Das hängt immer wie ein Schatten über allem, aber dann sehe ich die sehnsüchtigen Augen des Mädchens, und ich kämpfe weiter für sie. Letztendlich lebt sie doch jetzt hier mit und bei uns. Wir haben andere Rechte, Regeln, Sitten und Gebräuche. Ein bisschen mehr Toleranz und Öffnung vonseiten der Flüchlinge für unsere Art des Lebens, unserem Wertesystem, kann man doch erwarten, oder?”
Seitdem unsere Tanzgruppe besteht, bis auf einige wenige Ausnahmen, sind es ausschliesslich muslimische Mädchen ohne Kopftuch, die überhaupt eine Erlaubnis des Vaters erhalten.
“Diese gemischte Tanzgruppe ist mein Beitrag, mein Versuch, dass Kinder und Jugendliche einen normalen Umgang zwischen Jungs und Mädchen ausprobieren können. Selbst wenn es sehr viel Mühe bereitet weil es Haram, also als religiös schmutzig, angesehen wird und auf Wiederstand der Eltern stösst. In meiner Tanzgruppe lernen die Jungs und Mädchen, dass man zusammenhalten kann, zusammengehört, und vor allem, befreundet sein kann miteinander. Ich möchte , dass die Mädchen hier bei uns die Chance erhalten sich freier zu entwickeln als in ihrem Herkunftsland. Gleichberechtigt, mit gesundem Selbstbewusstsein.”