Berlin im Ausnahmezustand? Steigende Kriminalitätsraten und eine neue Diskussion um arabische Familienclans sorgen für Unruhe in der Hauptstadt

Vorab-Kommentar: Die AG F+M würde es begrüßen wenn dieses Thema weiterführend diskutiert wird, denn wir kennen Fälle wo Asylsuchende und Flüchtlinge durch die in diesem Artikel erwähnten arabischen Strukturen in die Schwarzarbeit hineingezogen wurden, bzw. werden sollten. Hier sprechen wir von fragwürdigen Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen, ein Thema was im unteren Artikel von Laura Daub zu kurz kommt.

Seit Jahren unterstützen wir Flüchtlinge bei der Bewältigung des Alltags und leisten praktische Hilfe. Ehrenamtlich geben wir Deutsch- und Nachhilfeunterricht, helfen bei der Arbeits-Bildungs- und Wohnungssuche, bei Umzügen, Arztbesuchen, auf Ämtern, und beim Schriftverkehr,dem Ausfüllen von Formularen und vermitteln wenn Rechtsbeistand nötig ist. Daraus und aus dem Deutschunterricht entstehen oft persönliche Patenschaften, auch Freundschaften.

Grundsätzlich ist es wichtig mit Geflüchteten das Thema Schwarzarbeit zu besprechen um zu (er)klären was es rechtlich als auch moralisch bedeutet Leistungen zu beziehen aber zusätzliche Einnahmen zu verheimlichen. Wir ermutigen und inspirieren anstatt dessen eine Lehrstelle, einen weiterführenden Bildungsweg, ein Studium mit BAföG / Stipendium oder einen Job mit korrektem Arbeitsvertrag zu beginnen, was wir ihnen gleichzeitig und oft auch langfristig erfolgreich vermitteln.

Viel zu oft scheint das Prinzip und Konzept des Sozialstaates Geflüchteten nicht so richtig verständlich zu sein. Das Jobcenter, das ehemalige LAGESO jetzt LAF werden meist als Apparate empfunden die den Heimplatz oder Wohnung, Möbel, Deutschkurse, Lebensmittel und Kleidung bezahlen „müssen“, als auch den Berliner Pass. Das jeder Mensch der hier lebt und arbeitet in einen Gemeinschaftstopf einzahlt, also auch für die Leistungen und Integrationshilfen der Flüchtlinge, wird erstaunlicherweise von ihnen oft nicht so wahrgenommen. Somit ist und verbleibt es eine Aufgabe den Neuhinzugezogenen zu vermitteln das hinter jeglicher Hilfe die sie von Behörden erhalten letztendlich Menschen wie Du + ich stecken, die in den gemeinschaftlichen Topf einzahlen. Wir müssen darauf einwirken das MigranntInnen und Flüchtlinge Loyalität zu uns und unserem Sozialstaat entwickeln, sich als Teil unserer Gemeinschaft sehen und sich an den Kosten und Pflichten freiwillig beteiligen. Stolz darauf sind wenn sie es geschafft haben sich von der Unterstützung anderer zu lösen um nun selber zum Gesamten beizutragen. Diese Loyalität kann unserer Auffassung und Hoffnung nach nur durch Verbindung und Freundschaft zwischen Neuangekommenen und uns entstehen, wo die Leistungsapparate ein menschliches Gesicht bekommen.

Viele Flüchtlinge haben inzwischen seit 2011 ihre Deutschkenntnisse erworben, ihr Studium begonnen, haben Arbeit und eine Wohnung. Einige eröffneten Restaurants oder eine Bäckerei (siehe Video link HIER) und verschaffen somit sogar Arbeitsplätze.

Wir sehen aber immer deutlicher große Schwierigkeiten zu dem Thema Integration, ein Beispiel dazu ist der Artikel von Laura Daub:

Berlin im Ausnahmezustand? Steigende Kriminalitätsraten und eine neue Diskussion um arabische Familienclans sorgen für Unruhe in der Hauptstadt

Quelle: BerlinOnline/Laura Daub

Die Drohung des IS, auch Deutschland sei Anschlagsziel, sitzt vielen Menschen in den Knochen. Indessen häufen sich Berichte über „rechtsfreie Räume“ und mafiöse Machenschaften arabischer Großfamilien in der Stadt, welche angeblich vermehrt junge Flüchtlinge rekrutieren. Vor allem am Kottbusser Tor ist die Kriminalität seit Jahresbeginn deutlich gestiegen. Wie sinnvoll aber sind Forderungen nach einem härteren Durchgreifen?

Nach den Anschlägen in Brüssel habe ich mir erst einmal ein Fahrrad gekauft. Das Bahnfahren fällt eben doch ein paar Takte weniger entspannt aus, wenn quasi nebenan in Brüssel ein U-Bahnhof explodiert. Natürlich ist Fahrradfahren in Berlin immer noch gefährlicher als U-Bahnfahren, aber fürs latente Angstgefühl ist es gut, erst mal nicht mehr so viel U-Bahn zu fahren, ein Placebo.
Der Fahrradladen liegt gleich um die Ecke, in einer ehemaligen Kellerwohnung nahe dem Kottbusser Tor. Ich mag den Besitzer, er hat etwas Gütiges an sich und erzählt immer interessante Geschichten. Er ist Deutscher türkischer Herkunft in zweiter oder dritter Generation, hat zwei Kinder und viele Freunde in der Nachbarschaft. Als er anfängt, den Kaufvertrag für das Fahrrad aufzusetzen, beginnt er, von seinen Sorgen zu erzählen. Es gäbe kriminelle Familien-Zusammenhänge, die sich die Notsituation vor allem junger Flüchtlinge zu Nutze machten. Diese würden mit schnellem Geld gelockt, unter Drogen gesetzt und auf Raubzug geschickt. Sein Geschäft erlebe in diesem Jahr große Einbußen, die Touristen blieben weg wegen der Berichte über das kriminelle Milieu am Kottbusser Tor. Auf der Straße werde er selbst oft beschimpft oder sogar angegriffen. Nun mache er sich Sorgen um die Zukunft seiner Kinder und sieht die Schuld beim Berliner Senat. Es würden am Kottbusser Tor, im Gegensatz zu wohlhabenderen Gegenden der Stadt, nicht genügend Sicherheitskräfte eingesetzt.
Kriminalität am Kottbusser Tor verdreifacht seit Jahresbeginn

Was er erzählt, wirkt nach, seine Sorgen sind nachvollziehbar. Ich lebe selbst seit 29 Jahren, also mein ganzes Leben, in der Nähe des Kottbusser Tors und habe seit Jahresanfang zum ersten Mal das Gefühl, dass hier Leute herumlaufen, die mir Böses wollen. Kaum eine regionale und überregionale Zeitung hat noch nicht über die neue Kriminalität am Kottbusser Tor berichtet. Die Tagesthemen vom 4. April 2016 berichteten zuletzt über eine „Neue Qualität der Kriminalität“. Aussagen wie „Ich wohne hier seit 35 Jahren und fühle mich nicht mehr sicher“ kann man jetzt von vielen Alteingesessenen hören.
Tatsächlich stieg von 2013 bis 2015 die Rate der Straftaten in der Stadt insgesamt von über 500.000 auf knapp 570.000, was einer Steigerung von etwa 13 Prozent entspricht. Die Kriminalität am Kottbusser Tor hat sich in den ersten Monaten des Jahres bereits verdreifacht.
Oberstaatsanwalt: Arabische Großfamilien nutzen die Not geflüchteter Jugendlicher

Eine Woche später, am 10. April 2016 berichtet die „Welt am Sonntag“ über arabische Großfamilien in Berlin , welche in kriminellen Parallelstrukturen agierten und Absichten hegten, junge Flüchtlinge für Einbrüche und Drogenhandel zu rekrutieren.

Der Berliner Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra wird dort zitiert mit einer Aussage, die ganz nach meinem Fahrradladenbesitzer klingt: „Die Flüchtlinge kommen hierher und haben kein Geld. Und ihnen wird gezeigt, wie man ungelernt sehr schnell an Geld kommen kann.“ Vor allem junge und körperlich starke Männer seien im Visier der Clans. „Diese werden dann für die Drecksarbeit eingesetzt“, zitierte die Zeitung einen anderen Ermittler. Die Not der Flüchtlinge werde ausgenutzt.
Innensenator Frank Henkel (CDU) gab sich daraufhin entschieden. Er wolle „alle Register ziehen“, gemeinsam mit Justiz, Gewerbeaufsicht, Ausländerbehörde und Steuerfahndung. Er spricht von mafiösen Teilstrukturen innerhalb dieser Clans und dunklen Wirtschaftsimperien. „Sie sind in nahezu allen Bereichen tätig, die Geld bringen.“

Gibt es „rechtsfreie Räume“?

Bei einer Großrazzia werden am 11. April 2016 sechs verdächtigte Angehörige arabischer Clans verhaftet . Fast 300 Beamte sind im Einsatz. Einer der Verhafteten gesteht und äußert den Wunsch, auszusteigen aus der Familienstruktur – was ungewöhnlich ist, da es den Bruch eines starken „Ehrenkodex“ bedeutet.

Dass die Politik in Bezug auf härtere Maßnahmen gegen die Kriminalität am Kottbusser Tor schläft, wie der Mann vom Fahrradladen beklagt, stimmt also nicht ganz. Tatsächlich sind rund um das Kottbusser Tor inzwischen mehr Polizeistreifen zu sehen und die Ausrüstung der Beamten wird immer raffinierter .

In der Sendung der Tagesthemen vom 4. April sagte Bürgermeister Michael Müller (SPD) beschwichtigend, es gäbe zwar mehr Diebstähle, aber immer noch keine „rechtsfreien“ Räume, in denen man um sein Leben Angst haben müsse. Auch sei es nicht wahr, dass es lediglich sechs neu eingestellte Polizisten in der Stadt gäbe. Es würden vermehrt Beamte ausgebildet und eingestellt. In diesem Jahr allein etwa 360.
Stärkung des „Neuköllner Modells“ gegen Jugendkriminalität

Der Berliner Bezirk Neukölln will indessen seinen Kampf gegen jugendliche Kriminelle wieder verstärkt aufnehmen . Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) warnte, das „Neuköllner Modell“ der Jugendrichterin Kirsten Heisig sei nach deren Tod 2010 versandet. Ihr Buch „Das Ende der Geduld“ erschien wenige Wochen vor dem Suizid der Autorin. Die Richterin hatte darin von bundesweit zehn bis zwölf arabischen Großfamilien mit einigen Tausend Menschen berichtet, welche „ausschließlich nach ihren Gesetzen“ lebten und deren männliche Mitglieder „massiv gewaltbereit“ und nach strengem Ehrenkodex an ihre Familien gebunden seien. „Wer die eigenen Leute an die Deutschen verrät, riskiert sein Leben“, schrieb Heise damals. Das „Neuköllner Modell“, welches heute noch praktiziert wird, geht auf sie zurück. Es hat vor allem eine schnellere Bestrafung jugendlicher Straftäter und weitmaschige Kooperationsnetzwerke zur Bekämpfung von Jugendkriminalität zum Ziel.
Nun will der Bezirk eine Arbeitsgruppe gründen, die sich gemäß des „Neuköllner Modells“ um die Kooperation der zuständigen Stellen kümmern soll. Besonders bei den Familien wolle man ansetzen, so Liecke. «Wir müssen deutlich machen: Der Staat lässt sich nicht alles gefallen. Das kommt bei den Familien bisher nicht an.»

Jugendkriminalität gibt es nicht erst seit der Flüchtlingskrise

Allerdings ist auch die Delinquenz von Jugendlichen älter als die Flüchtlingskrise und es gibt sie in allen Großstädten der Welt. Aufschluss darüber gibt ein Interview der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Jugendrichter Stephan Kuperion und dem Soziologen Jost Reinecke. Dort heißt es unter anderem, dass die gefühlt höhere Delinquenz Jugendlicher auch an vermehrter Berichterstattung liegen könnte, so Kuperion: „Ich glaube schon, dass häufiger darüber berichtet wird. Es ist ein Phänomen, das es schon immer gab. Es wird jetzt namhafter durch die Bezeichnung Intensivtäter, durch die besondere Bearbeitung bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft.“

Das Neuköllner Modell hält er für sinnvoll, als Universallösung eigne es sich jedoch nicht: „Mir geht es darum, dass wir es schaffen, in den Fällen, wo es besonders wichtig erscheint, schnell zu reagieren, das auch umsetzen zu können. Daran arbeiten wir. Aber das Neuköllner Modell ist kein Allheilmittel. Es ist EIN Baustein im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung.“

Prävention statt Repression

Reinecke hält juristische Maßnahmen mitunter sogar für kontraproduktiv: „Wenn diese Jugendlichen einmal in diesem Kreislauf (der Justizkontakte und erneuten Straftaten) drin sind, finden sie sozusagen auch nicht wieder heraus.“ warnt er und fügt hinzu: „Man kann feststellen, dass justizielle Kontrollverfahren eben nicht immer den gewünschten Effekt haben. In diesem Sinne braucht man weniger Justiz beziehungsweise man braucht Justiz an der richtigen Stelle und richtig koordiniert.“
Während die Berliner CDU verspricht, hart durchzugreifen, mahnt der Bürgermeister in der Tagesthemen-Sendung vom 4. April ähnlich wie Reinecke präventives Vorgehen neben juristischer Repression an. In Neukölln beispielsweise habe sich die Situation durch Sozial- und Kulturarbeit erheblich verbessert.

Dringender Bedarf an nichtkriminellen familiären Schutzräumen

Als ich vor ein paar Tagen auf meinem neuen Fahrrad durch Kreuzberg nach Hause radle, spielen Kinder in der Sonne, lungern Jugendliche herum und sehen friedlich aus. An Hautfarbe ist alles dabei, von ganz blass bis ganz dunkel. Wahrscheinlich malen sie sich für die Zukunft nicht unbedingt aus, ausgerechnet Drogenhändler werden zu wollen. Vielleicht passiert es einigen trotzdem, die Faktoren sind komplex. Dass gerade junge Flüchtlinge sich leicht in kriminelle Machenschaften verwickeln lassen, liegt jedenfalls nicht daran, dass sie krimineller sind als andere Jugendliche.
Es braucht also dringend eine große Zahl von Sozialarbeitern und ausreichend Angebote an die Jugendlichen, eine sinnvolle Beschäftigung im Austausch mit anderen Menschen, idealerweise einen familiären Schutzraum zu finden, der nicht kriminell ist und eine Perspektive ermöglicht.

Positive Beispiele solcher Räume gibt es glücklicherweise einige in Berlin. Das Tempelhofer TIK beispielsweise bietet Theaterprojekte und Deutschkurse an. Mujeeb, der beim TIK deutsch lernt und Theater spielt, sagte der Zeitung taz: Das Deutsch, das ich kann, habe ich hier gelernt, wir sind eine Familie.“ Investitionen in Projekte wie das TIK können eigentlich nicht groß genug sein. Mindestens so groß wie solche in stärkere Repressionsmaßnahmen. Das hilft auf lange Sicht sowohl gegen den Erfolg extremistischer Seelenfänger, als auch gegen die Anfälligkeit Jugendlicher für Kleinkriminalität.
Es ist immerhin unwahrscheinlich, dass Mujeeb Ja sagt, wenn jetzt jemand an ihn herantritt und fragt, ob er nicht doch lieber am Kottbusser Tor Drogen verticken oder sich einer terroristischen Vereinigung anschließen möchte.

Die Kriminalstatistik des vergangenen Jahres einsehen: HIER

Auflistung von Informationen zu Jugendkriminalität und Jugendhilfeeinrichtungen in Berlin: HIER

Die Arbeit des TIK kann hier begutachtet und gegebenenfalls unterstützt werden: HIER

Interview mit Kuperion und Reinecke zum Nachlesen und weitere Informationen der Bundeszentrale für Politische Bildung: HIER

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