Das BAMF stockt sein Sicherheitsreferat auf und geht Hinweisen schneller nach. Sogar der Verfassungsschutz sitzt mittlerweile während der Anhörungen am Tisch. Dennoch tauchen neue Lücken im System auf.
Nach und nach hat sich die europäische Flüchtlingskrise der vergangenen Jahre mit der Terrorgefahr verbunden. Mehrere der späteren Attentäter von Paris tarnten sich als Schutzsuchende. Die Täter von Würzburg und Ansbach hatten sich als Flüchtlinge registriert. Anis Amri schlüpfte durch die europäischen Asylregeln und beging schließlich den hierzulande bislang schwerwiegendsten islamistischen Anschlag.
Die Lage ist jedoch komplizierter: Viele Terroristen, die Anschläge in Europa begangen haben, sind auf dem Kontinent geboren und aufgewachsen. Andere wiederum kamen als Flüchtlinge und radikalisierten sich erst hier. Klar ist auch: Die Zahl der Hinweise auf Extremisten unter den Asylsuchenden ist seit 2015 sprunghaft angestiegen. Und immer wieder finden die Sicherheitsbehörden tatsächliche Islamisten. Für die Behörden stellt sich deshalb die Frage, wie sie solche Extremisten unter Hunderttausenden unschuldigen Asylsuchenden herausfischen können.
Entscheidend bei dieser Suche ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Kein Schutzsuchender kommt an der für Asylanträge zuständigen Behörde vorbei. Und genau hier liegt die Herausforderung: Denn die unkontrollierte Einreise von Hunderttausenden hat dazu geführt, dass das BAMF nicht nur Anträge checkt, sondern zur Schnittstelle bei Sicherheitsfragen wurde.
700.000 Menschen ohne eindeutige Identitätsprüfung
Vor Kurzem noch sagten hohe BAMF-Mitarbeiter: „Wir sind ja nicht die Polizei!“ Das stimmt streng genommen auch weiterhin. Aber: Das BAMF schaut jetzt genauer hin. Oder wie es Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gerade vor Abgeordneten formulierte: „Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit des BAMF, Sicherheitshinweisen, wenn sie irgendwie auftauchen, nachzugehen.“
Es dauerte allerdings, bis entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden. Zunächst war das BAMF schlichtweg überfordert. Zur Hochphase der Krise schwächelte bereits die elementare Technik: Die Behörde hatte zum Beispiel mit 50 schweren IT-Ausfällen zu kämpfen.
Nach Angaben des Beauftragten der Bundesregierung fürs Flüchtlingsmanagement, Frank-Jürgen Weise, reisten 2015/2016 etwa 700.000 Menschen ins Land, „deren Identität wir nicht eindeutig geprüft hatten“. Monatelang mussten die Personen anschließend auf ihre Asylanhörung warten. Somit verging oftmals viel Zeit, bis Fingerabdrücke genommen und mit den Sicherheitsbehörden verglichen werden konnten – wie es der Regelfall vorsieht.
Unter anderem die hohe Zahl der neuen Asylsuchenden sorgte dafür, dass anschließend laut Sicherheitskreisen pro Monat rund 800 bis 1000 „sicherheitsrelevante Meldungen“ beim Sicherheitsreferat des BAMF eingegangen sind. Diese Informationen kommen oftmals von Anhörern oder Dolmetschern.
Wenn auch das Sicherheitsreferat einen Fall kritisch sieht, geht man direkt auf die Sicherheitsbehörden zu. Vor allem der Fall des Syrers Dschaber al-Bakr, der offenbar einen Sprengstoffanschlag plante, heizte im Herbst 2016 die Diskussion darüber an, ob der Verfassungsschutz leichter auf das Ausländerzentralregister (AZR) zugreifen sollte.
Automatischer Abgleich mit Sicherheitsbehörden
Nicht nur das ist mittlerweile beschlossen. Das Vorhaben mit dem sperrigen Namen Datenaustauschverbesserungsgesetz ermöglicht es zudem, dass öffentliche Stellen leichter Informationen über Asylsuchende austauschen können. Das BAMF hat das Sicherheitsreferat nach Angaben des Bundesinnenministeriums um 22 Stellen auf heute 52 Personen aufgestockt. Laut BAMF-Präsidentin Jutta Cordt soll das Referat „schnell und tagesaktuell“ auf Hinweise aus der Fläche reagieren.
Der Verfassungsschutz darf bei Asylanhörungen seit ein paar Monaten mit am Tisch sitzen und Fragen stellen – das erfährt der Schutzsuchende allerdings nicht im Voraus, sondern erst danach im Protokoll. Seit Mitte März findet in gewissen Fällen zudem ein automatischer Abgleich mit den Sicherheitsbehörden statt.
Bei Asylsuchenden aus vielen Herkunftsländern – etwa für jene mit Visapflicht – wird überprüft, ob beim Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischer Abschirmdienst (MAD) oder beim Zollkriminalamt solche Informationen vorliegen, „die Asylausschlussgründe, aufenthaltsrechtliche Ausschlussgründe oder sonstige Sicherheitsbedenken“ begründen, wie das Innenministerium mitteilte. In den ersten vier Monaten 2017 wurden beim BfV fast 9000 Daten abgerufen. Bei den Landesämtern waren es 17.000 und beim BND mehr als 8000, wie die Regierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte.
NEIN IM BUNDESRAT
Was die Grünen bei sicheren Herkunftsstaaten verschweigen
Innenexperten streiten, ob der immer engere Austausch mit den Sicherheitsbehörden als Generalverdacht anmutet – oder ob er angesichts der Bedrohungslage notwendig ist. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, hält das Vorgehen für unverhältnismäßig. Bereits heute sei es „zulässig und im Einzelfall sicher auch legitim, im Verdachtsfall bei den Sicherheitsbehörden einen Abgleich vorzunehmen“, sagte sie der WELT. „Aber bei diesem pauschalen Abgleich, der zehntausendfach durchgeführt wird, geht es ja gar nicht um konkrete Verdachtsgründe, sondern allein um die Herkunft der Antragssteller.“
Auch Irene Mihalic von den Grünen kritisiert: Es gebe „gute Gründe, Übermittlungsvorschriften nur unter bestimmten Voraussetzungen vorzusehen“. Dies gelte „auch und gerade für den Verfassungsschutz“.
Vertreter der Regierungsfraktionen sehen dagegen keine Probleme: Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, findet mit Blick auf die Sicherheitslage: „Es wäre grob fahrlässig, wenn wir unsere Sicherheitsbehörden hier künstlich blind machen würden.“ Einen „Pauschalverdacht“ gegen Asylbewerber sieht er nicht. Die Gesetze garantierten einen „verantwortungsvollen Umgang mit den gewonnen Daten“.
Dolmetscher müssen sicherheitsüberprüft werden
Der Obmann der Union im Innenausschuss, Armin Schuster (CDU), fordert sogar einen Testlauf, bei dem für einige Monate alle Befragungen durch Vertreter der Sicherheitsbehörden begleitet werden. Und auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, sagt: „Ich halte einen intensiven Datenaustausch zwischen BAMF und Sicherheitsbehörden für essenziell für die innere Sicherheit in Deutschland.“
Allerdings haben auch die strengeren Sicherheitsmaßnahmen im Bund, bei den Ländern und in den Kommunen nicht verhindert, dass immer wieder neue Probleme auftauchen. Die WELT meldete zuletzt, dass von 5000 anerkannten Asylbewerbern niemals ein Fingerabdruck zur Identitätsfeststellung genommen wurde.
Laut BAMF soll das bis Mitte Juli nachgeholt werden. Dem Flüchtlingsbeauftragten Weise zufolge sind zudem im Bund zwar alle Dolmetscher sicherheitsüberprüft – in den Ländern allerdings noch nicht. Auf Nachfrage erklärte die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hierzu: Bislang war dies kein Thema bei Besprechungen.