AG F+M DISKUSSION: Genau hinzuschauen, wenn es um die Integration von Neueinwanderern aus islamischen Ländern geht

Von unserem AG F+M Mitglied Christina Kettering.
Christina ist ehrenamtlich in einer von unseren AG F+M Deutschlehrergruppen in einem Wohnhaus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge tätig. Sie unterstützt zur Zeit ein junges Mädchen mit regelmäßigem Nachhilfeunterricht.

Nach jedem islamischen Anschlag wird er laut: der Ruf nach öffentlicher Distanzierung vonseiten der „moderaten“ Muslime. Und sie folgen ihm: Aiman Mazyek neben der Bundeskanzlerin gedenkt der Opfer der Anschläge von Paris, Lamya Kaddor organisiert einen Friedensmarsch der Muslime in Köln, der Dachverband der schiitischen Gemeinden in Deutschland -IGS – bietet als „Prävention gegen Extremismus“ einen vom Familienministerium geförderten Workshop zum Thema „Islam zwischen Rationalität und Radikalität“ an sowie „präventiv-pädagogische Bildungsworkshops“ für Jugendliche. Mohamed Taha Sabri, Imam der Neuköllner Dar-Assalam-Moschee, betet mit Vertretern anderer Glaubensrichtungen auf dem Breitscheidplatz für die Opfer des Anschlags auf den dortigen Weihnachtsmarkt 2016 und beteiligt sich im Juli 2017 am „Marsch der Muslime gegen den Terrorismus“. Sie alle grenzen sich öffentlich deutlich ab von den „Kriminellen“, die ihre Religion „missbrauchen“, ziehen scharfe Grenzen zwischen den Extremisten und sich selbst – den moderaten Muslimen. Und Gesellschaft und Politik tun es ihnen gleich. Der IGS sitzt in der Deutschen Islamkonferenz, seine Projekte werden mit staatlichen Mitteln gefördert, Sabri wurde mit dem Verdienstorden des Landes Berlin geehrt. Lamya Kaddor, Religionslehrerin in Nordrhein-Westfalen, ist als Vertreterin des liberalen Islam gern gesehener Gast in Talkshows.
Schaut man genauer hin, kommen jedoch Zweifel auf, was „moderat“ im Einzelnen bedeutet.
Am achten Juli veröffentliche der IGS auf seiner Facebook-Seite eine offizielle Presseerklärung des Vorstands zu der Gründung der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin und der geplanten „Ehe für alle“. Beides wird dort als „äußerst befremdliche(r) und besorgniserregende(r) Trend“ bezeichnet, „der Indizien auf eine geplante und organisierte gesellschaftliche Verirrung sowie die Verwässerung jeglicher Moral, Ethik und Religiosität aufweise“. Und weiter unten: „Wenn dann auch noch in dieser ,Moschee‘, die eigentlich ein Ort der Rechtleitung und Wegweisung zu den göttlichen Geboten sein soll, die Meinung vertreten wird, dass der Koran Homosexualität billigt und man sich damit schmückt, dass dort Homosexuelle nicht nur teilnehmen, sondern auch das Gebet leiten sollen, dann ist etwas gründlich falsch verstanden worden. Dies ist keine Moschee und das ist nicht der Islam.“

Sabri, der Imam der Dar-Assalam-Moschee, der sich so medienwirksam gegen den Terror abzugrenzen weiß, wird auch sonst gerne als Vorzeige-Imam gehandelt. Er lädt Rabbiner in seine Moschee ein und öffnet das Haus für ein Netzwerktreffen schwuler Führungskräfte. Gleichzeitig jedoch wird seine Moschee vom Verfassungsschutz beobachtet. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird sie als Verbindungsglied zur Muslimbruderschaft angeführt, einer Organisation, deren Ziel ein islamischer Staat ist und aus der auch die Hamas hervorging. 2013 und 2014 ließ er jeweils einen radikalen Prediger auftreten, der erste, Muhammad Al-Arifi, hat in Deutschland Einreiseverbot.

Anders verhält es sich mit Aiman Mazyek und Lamya Kaddor. Beide verstehen es, sich als liberale Vertreter eines europäischen Islam zu präsentieren, die beweisen sollen, dass der Islam eigentlich friedlich sei, alle fundamentalistischen Tendenzen lediglich Missbrauch unter falschem Namen bzw. „areligiöser Nihilismus“ (Mazyek). Und genau hier liegt das Problem: Mazyek leugnet bei jeder Gelegenheit einen Zusammenhang zwischen Islam und Islamismus und verweigert dadurch die von Reformern wie Ahmad Mansour geforderte innerislamische Aufklärung:

„Viele Aspekte der islamistischen Ideologien knüpfen an Grundlagen an, die ein verbreitetes, wenn auch nicht als radikal auffälliges Verständnis des Islam bereits geschaffen hat. Daher bietet auch dieses Mainstream-Islamverständnis dem Radikalismus, teils unwissentlich und ungewollt, eine Basis. Er trägt jedenfalls eine Mitverantwortung.“

Muslimische Kritiker wie Mansour, Hamed Abdel-Samad oder Abdel-Hakim Ourghi fordern schon längst die Anerkennung der Tatsache, dass Islam und Islamismus keine gesonderten Phänomene sind, sondern der „Islamismus die Aktivierung der im Islam enthaltenen Gewalt darstellt“ wie Samuel Schirmbeck sagt. Dabei fallen ihnen nicht nur linke europäische Intellektuelle, die eigentlich jede Bemühung um Aufklärung unterstützen sollten, in den Rücken, sondern auch sich als liberal gebende Muslime wie Lamya Kaddor. Kaddor, die sich nach der Veröffentlichung ihres Buchs aufgrund der zahlreichen Hasskommentare vom Schuldienst hat beurlauben lassen, tut sich besonders schwer damit, zwischen rechter Hetze und diskussionswürdiger Kritik zu unterscheiden. So warf sie im Zuge ihrer Buchveröffentlichung tatsächliche rechtsradikale Drohungen mit inhaltlich argumentierenden Kritikern in einen Topf. Im Zeit-Artikel „Islamkritik, die niemand braucht“ stellt sie fundierte Islamwissenschaftler wie Hamed Abdel-Samad und Necla Kelek auf eine Stufe mit Thilo Sarrazin und wischt ihre auf Argumentationen, Wissen und Recherche beruhenden Arbeiten mit einem Handstreich weg: „Und damit sind solche Schriften inhaltlich überflüssig und vor allem eins: unnütz.“ Frau Kaddor stellt in ihrem Artikel Behauptungen auf, ohne sie argumentativ zu belegen, und diskreditiert die Arbeit ihrer Gegner, die sich sehr wohl die Mühe der Argumentation machen, ohne auch nur auf eines der Argumente der Genannten einzugehen. Dieses Verfahren rechtfertigt sie auch noch:

„…dass sich die Auseinandersetzung mit „Islamkritikern“ eben nicht mit den Inhalten befassen sollte. Sie sollte sich allein darauf konzentrieren, die Strategien, Mechanismen und Instrumente der islamfeindlichen Szene einerseits und die ihrer Geistesverwandten, der islamischen Fundamentalisten, andererseits herauszuarbeiten. Die zunehmende Polarisierung in unserer Gesellschaft geht zu großen Teilen auf diese „Islamkritik“ zurück. Sie ist eines von zwei Elementen, die dafür verantwortlich sind, dass Vorurteile und Stereotype gegenüber Muslimen (gewaltbereit, rückständig, misogyn, extremistisch) zunehmen.“

Mit Islamkritik darf man sich also gar nicht erst befassen, Islamkritiker und islamische Fundamentalisten sind dasselbe und die Islamkritiker schuld an Ressentiments gegenüber Muslimen. Mit solchen Einstellungen trägt sie zu einer islamischen Öffnung nicht gerade bei – liberal ist etwas anderes.

Seyran Ates erhielt im Übrigen nach der Gründung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee mehr als hundert Morddrohungen. Aiman Mazyek war nicht bereit, eine Stellungnahme zu der Neugründung abzugeben. Es gebe so viele Moscheen in Deutschland, er müsse nicht jede einzelne kommentieren, sagte er dem Tagesspiegel. Dass die liberale Moschee nicht irgendeine ist und ihre Vertreter mit dem Tode bedroht werden, beachtet er dabei nicht. Sie hätte die Unterstützung der Verbände bitter nötig. Wenn Mazyek die Verbreitung eines liberalen Islam so wichtig ist, wieso dann die ausbleibende Solidarisierung mit der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee?

Auch wenn diese Beispiele nicht in einen Topf geworfen werden können und zwischen der offenen Ablehnung von Homosexualität und der Zurückweisung von Kritik am Islam ein qualitativer Unterschied besteht offenbaren sie doch das Problem des öffentlich in Erscheinung tretenden moderaten Islam. Bei den genannten Einzelpersonen handelt es sich um deutsche Staatsbürger, in Deutschlang geboren und sozialisiert. Nun kamen allein im Jahr 2015 um die 800.000 Asylsuchenden hinzu, die meisten davon aus Ländern, in denen der Islam Staatsreligion ist. Dass diese Sozialisation in Fragen der Toleranz gegenüber Anders- bzw. Ungläubigen, der Gleichstellung der Geschlechter, der Haltung zum Rechtsstaat und zu Homosexualität zu Ansichten führt, die eine große Herausforderung für die Integration darstellen, ist schwer zu leugnen.

2013 führte Ruud Koopmans im Auftrag des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung die Studie „Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit“ durch. Koopmans, der sich kontroversen Debatten ausgesetzt sieht, ist ein angesehener Wissenschaftler, der lange Zeit überzeugt war, dass Multikulturalismus besser sei als Assimilation, bis er selbst dazu eine vergleichende Studie durchführte („Multikulturalismus oder Assimilation“ ). In seiner Studie von 2013 befragte er Muslime und Christen in verschiedenen westeuropäischen Ländern zu ihren Einstellungen in Hinsicht auf unterschiedliche Fragen. Auch wenn sie nicht repräsentativ ist, wie Koopmans in der Studie selbst einräumt, weist sie erschreckende Tendenzen auf. Demnach stimmen 60 Prozent der befragten Muslime der Aussage zu: „Muslime sollten zu den Ursprüngen des Islam zurückkehren“, 75 Prozent der Aussage: „Es ist nur eine Auslegung des Islam möglich“ und 65 Prozent der Aussage: „Die religiösen Regeln sind wichtiger als das Gesetz des Landes, in dem ich lebe“. 45 Prozent der Muslime in Europa stimmen allen drei Aussagen zu und weisen damit ein geschlossen fundamentalistisches Weltbild auf (in Deutschland sind es 30 Prozent).

Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger genau hinzuschauen, wenn es um die Integration von Neueinwanderern aus islamischen Ländern geht. Viele Ehrenamtliche, Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen können ein Lied davon singen, dass auch viele Muslime, die sich selbst als moderat bezeichnen, Alkohol trinken und mit Deutschen ausgehen, letztlich denken: „Sie machen ja ganz tolle Sachen, aber moralisch sind sie uns unterlegen“.
Solange die strikte Trennung zwischen gläubig und ungläubig, zwischen haram und halal weiter aufrechtgehalten und gepredigt wird, bleibt es schwierig von einem moderaten Islam zu sprechen.

Ein Bekenntnis gegen Terrorismus, ein medienwirksames interreligiöses Beten an Tatorten islamischer Anschläge reicht nicht aus. Ein wahrer liberaler Islam muss seine Kritiker, auch die, mit denen er nichts anfangen kann, akzeptieren. Er muss unterscheiden zwischen Fremdenfeindlichkeit und fundierter Kritik. Verbände, die sich selbst als Vertreter ganzer Glaubensgemeinschaften sehen, müssen selbstverständlich andere Interpretationen des Glaubens und Gründungen anderer Moscheen akzeptieren und dies ihren Anhängern auch vermitteln. Ein moderater, deutscher Imam muss dafür sorgen, dass nur moderate Prediger Gäste seiner Moschee sind, die die demokratischen Grundwerte teilen und diese auch predigen. Sollte all dies mit dem Islam – auch dem moderaten – nicht vereinbar sein, wie es z.B. die IGS in ihrer Pressemitteilung andeutet, muss die Frage gestellt werden, ob es einen moderaten Islam überhaupt geben kann:
„Einen moderaten Islam gibt es Ihrer Meinung nach nicht?
Das ist eine Erfindung. Der Islam hat den Anspruch das Leben eines Muslims zu regulieren, von dem Moment an, wo er aufwacht, bis hin zum Moment, wo er zu Bett geht. Wenn man sagt, es gibt einen moderaten Islam, der auf den Dschihad, auf die Scharia, auf Geschlechterapartheid und die Durchregulierung des Alltags verzichtet, was bleibt dann vom Islam übrig? Es gibt moderate Muslime, aber keinen moderaten Islam. Sie sind dann nicht wegen des Islams, sondern trotz des Islams moderat.“

Wenn wir auch nur eine Chance auf die Integration der neu Eingewanderten haben wollen, brauchen wir einen europäischen Islam, dessen offizielle Vertreter sich ohne Einschränkungen für Gleichberechtigung und liberale Werte einsetzen und jede Tendenz antiaufklärerischen Verhaltens augenblicklich verurteilen. Die bereit sind, eine Debatte zu führen über die fundamentalistischen Aspekte ihrer Religion und Kritik an einem Glaubenssystem nicht als Rassismus diskreditieren, um sich mit den Inhalten der Kritik nicht mehr auseinanderzusetzen zu müssen. Wir benötigen eine europäische Öffentlichkeit, die bereit ist, die Diskussion unideologisch zu führen und die liberalen Kräfte zu stärken, statt ihnen vorzuwerfen, Öl ins Feuer zu gießen, wie es vielfach geschieht. Wir müssen die Individuen gegen die Gemeinschaft stärken: die Mädchen und Frauen gegen das patriarchale Weltbild. Die, die dem Glauben abschwören oder ihn wechseln und deshalb bedroht werden. Die Homosexuellen, die Liberalen.

2015, im Taumel der neuen deutschen Willkommenskultur, wurden zahlreiche neue Flüchtlingshilfsorganisationen gegründet, die einen großen Zustrom ehrenamtlicher Helfer erhielten. Das ist gut. Allerdings haben viele dieser Helfer schnell frustriert wieder aufgegeben, als sie merkten, dass eine große Zahl jener, die sie mit großer persönlicher Anstrengung und Offenheit unterstützten, den Helfern weit weniger offen und respektvoll begegneten. Im Ergebnis führte das dazu, dass viele Ehrenamtliche sich ausgebrannt und frustriert zurückzogen, manche eine pauschale Abneigung gegen Flüchtlinge entwickelten. Die, die dabeigeblieben sind und trotz allem ihre Arbeit jenseits pauschaler Verurteilungen sowie naiver Schönfärberei weiterführen wollen, werden allein gelassen von einer Öffentlichkeit, die die Ehrenamtlichen zwar als die Helden des Jahres 2015 feiert, von den Kehrseiten ihrer Arbeit aber nichts wissen will.

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