EuGH hat entschieden: UMF Flüchtling, der während des Asylverfahrens volljährig wird, behält Recht auf Familienzusammenführung

Der EuGH hat entschieden, dass ein unbegleiteter Minderjähriger, der während des Asylverfahrens volljährig wird, sein Asyl somit minderjährig beantragt hat, sein Recht auf Familienzusammenführung behält.  Ein solcher Antrag auf Familienzusammenführung müsse jedoch innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden, d.h. grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab dem Tag, an dem der Minderjährige als Flüchtling anerkannt worden sei.

Nach Auffassung des EuGH sind Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die zum Zeitpunkt ihrer Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und der Stellung ihres Asylantrags in diesem Staat unter 18 Jahre alt sind, während des Asylverfahrens volljährig werden und denen später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, als „Minderjährige“ einzustufen. Die Richtlinie für Flüchtlinge sehe günstigere Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung vor, weil ihrer Lage wegen der Gründe, die sie zur Flucht aus ihrem Heimatland gezwungen haben und sie daran hindern, dort ein normales Familienleben zu führen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Insbesondere haben unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein Recht auf eine Familienzusammenführung, das nicht in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt sei. Die Richtlinie regele zwar nicht ausdrücklich, bis zu welchem Zeitpunkt ein Flüchtling minderjährig sein müsse, um das spezielle Recht auf Familienzusammenführung (Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86/EG) in Anspruch nehmen zu können, doch könne die Bestimmung dieses Zeitpunkts nicht dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen bleiben.

Zur Beantwortung der Frage, auf welchen Zeitpunkt zur Beurteilung des Alters eines Flüchtlings letztlich abzustellen ist, damit er als Minderjähriger anzusehen ist und folglich das spezielle Recht auf Familienzusammenführung in Anspruch nehmen kann, prüft der EuGH im Einzelnen den Wortlaut, die Struktur und das Ziel der Richtlinie unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs, in den sie sich einfügt, und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts.

Der EuGH stellt fest, dass die praktische Wirksamkeit des Rechts auf Familienzusammenführung in Frage gestellt würde, wenn es davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die zuständige nationale Behörde förmlich über die Anerkennung des Betroffenen als Flüchtling entscheidet, und damit von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz durch diese Behörde. Dies liefe nicht nur dem Ziel dieser Richtlinie, die Familienzusammenführung zu begünstigen und dabei Flüchtlinge (insbesondere unbegleitete Minderjährige) besonders zu schützen, sondern auch den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit zuwider. Eine solche Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass zwei unbegleitete Minderjährige gleichen Alters, die ihren Antrag auf internationalen Schutz zum gleichen Zeitpunkt stellen, je nach der Bearbeitungsdauer ihrer Anträge unterschiedlich behandelt werden könnten. Sie hätte ferner zur Folge, dass es für einen unbegleiteten Minderjährigen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, völlig unvorhersehbar wäre, ob er das Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern in Anspruch nehmen können werde, was die Rechtssicherheit beeinträchtigen könnte.

Im Gegensatz dazu ermögliche es das Anknüpfen an den Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, die gleiche und vorhersehbare Behandlung aller Antragsteller zu gewährleisten, die sich zeitlich in der gleichen Situation befinden, indem sichergestellt werde, dass der Erfolg des Antrags auf Familienzusammenführung in erster Linie von Umständen abhänge, die in der Sphäre der Antragsteller liegen, nicht aber von Umständen, die in der Behördensphäre liegen (wie die Bearbeitungsdauer des Antrags auf internationalen Schutz oder des Antrags auf Familienzusammenführung). In einer solchen Situation müsse jedoch der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden, und zwar grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab dem Tag, an dem der Minderjährige als Flüchtling anerkannt worden sei.

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