DISKUSSION: AG F+M Ehrenamtliche Irene „Wir müssen uns endlich mit der Realität auseinandersetzen“

Hier wieder ein Beitrag aus unserer AG F+M Diskussionsreihe.

Von IRENE

Frauen_am_Naehen_Foto©Irene_AG_F+MVor 2 Jahren bin ich dem Aufruf, ein Nähprojekt für Frauen an den Start zu bringen, gefolgt. Wir haben Nähmaschinen und Material zur Verfügung gestellt. Das Angebot wurde sehr gern angenommen. Im Zuge der Schließung der Notunterkunft, haben wir das Nähprojekt eingestellt. Parallel habe ich mit ein paar anderen einen wöchentlichen Frauentreff mit dem Schwerpunkt Wohnungssuche aufgebaut. Nebenbei helfen wir wie alle anderen auch weiter mit Behördenbriefen, und kochen gelegentlich gemeinsam.

Als Zeuge der vielfach gescheiterten Integration von Türken und Arabern in Neukölln (wohne hier seit 18 Jahren), dachte ich mir, als im Herbst 2015 die Grenzen geöffnet wurden, ich möchte meinen Beitrag leisten, damit sich das nicht wiederholt. Auf grundlos von sich selbst berauschte arabische Jungmänner hatte ich aus Erfahrung überhaupt keine Lust, deshalb war das Frauenprojekt genau das, was ich machen wollte. Zunächst war Verständigung nur mit Händen und Füßen möglich, da niemand deutsch oder englisch sprach. Damit kam ich noch ganz gut zurecht. Was mir überhaupt nicht gefallen hat war die totale Distanzlosigkeit.

Frauen am Naehen © AG F+M-IreneWenn ich neue Stoffe in den Raum brachte wurde ich sofort umringt und bedrängt und mußte mir mit rüden Gesten und lauten Worten Luft und Respekt verschaffen. Damit stieß ich bei anderen Flüchtlingshelferinnen auf große Ablehnung, die meinten, so könne man doch nicht mit den armen traumatisierten Frauen umgehen. Wir sollten offen und auf Augenhöhe kommunizieren, die Materialien auf den Tisch legen und jeder nimmt sich was er braucht. Das endete aber zum grossen Erstaunen in einem Desaster. Es gab ein großes Hauen und Stechen. Die vorwiegend jungen Damen mit den hehren Idealen kamen mit dieser Situation nicht gut klar und tauchten vielfach nach wenigen Wochen nicht mehr auf. Übrig blieben nur wenige, die das Projekt allen Widerständen zum Trotz am Leben halten wollten. Immer wieder stieß ich auf Verhaltensweisen die mich befremdeten oder ärgerten, wie massive Unpünktlichkeit, Mißachtung unserer Bemühungen, unverschämte Forderungen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ich eher wie Personal als wie ein willkommener Helfer behandelt wurde. Wir diskutierten das im Helferkreis und entschuldigten es mit anderen Sitten, anderweitigen Belastungen, Traumatisierung, usw.

Irgendwann wurde uns klar, daß die Frauen dachten, das wäre unser Job. Also machten wir klar, daß wir das Projekt freiwillig in unserer Freizeit machen. Das änderte nichts an der mangelnden Wertschätzung. Viele verstanden einfach nicht warum wir das tun, inzwischen denke ich, sie halten uns für dumm unbezahlt für Fremde zu arbeiten. Und Dumme haben selbstverständlich keine Wertschätzung verdient.

Was die Fluchtgeschichten angeht, kam mir mein Vertrauen in das, was mir da erzählt wurde, zunehmend abhanden. Das meiste erfuhr ich aus den BAMF-Bescheiden die ich lesen durfte, um ihnen zu sagen welchen Status sie bekommen haben. Vielen wurde es dann aber unangenehm, wenn sie merkten, daß dort auch detailliert protokolliert war, was sie im Interview gesagt haben. Das machte mich stutzig. Viele Syrer und Afghanen waren schon jahrelang innerhalb des Landes oder der Nachbarstaaten geflohen und haben sich erst auf den Weg nach Deutschland gemacht, als es sich herumsprach, daß Deutschland die Grenzen geöffnet hat. Und viele andere sind auf dem gleichen Ticket mitgefahren.
Ich habe z.B. eine Libanesin kennengelernt, die unterwegs eine syrische Familie kennengelernt hat, welche eine Tochter aus mir unbekannten Gründen, nicht mitgenommen hat. Die Libanesin hat sich der Einfachheit halber als diese Tochter ausgegeben. Sie sah aus wie Mitte 40, hat sich als Anfang 20 ausgegeben. In der Anhörung sind die Alterdiskrepanz, die mangelhafte Konsistenz der Aussagen und der falsche arabische Dialekt sofort aufgefallen, es folgte die Ablehnung. Eine Abschiebung findet natürlich trotzdem nicht statt, wohin auch?

Etliche Afghanen waren schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte im Iran, bevor sie sich auf den Weg nach Deutschland gemacht haben, viele Kinder und Jugendliche sind dort geboren. Selbst wenn man wollte, wohin sollte man sie abschieben? Weder in Afghanistan noch im Iran bekommen sie Papiere, noch sind sie willkommen.
Den Kontakt zu einem Iraker, der aus einer örtlichen Miliz desertiert ist und daraufhin bedroht wurde, habe ich recht schnell wieder abgebrochen, weil der Mann mir zunehmend unheimlich wurde. Er hatte offenkundig massive psychische Probleme, aber war nicht bereit sich in dieser Hinsicht helfen zu lassen. Praktische Hilfe von norwegischen Gönnerinnen, die ihm die Weiterflucht nach Deutschland ermöglicht und finanziert haben, nachdem er in Norwegen abgelehnt worden war, nahm er dagegen gern an.

Zwei Syrer stellten sich nach kurzer Zeit als anscheinend sehr wohlhabend heraus, was sie selbstredend nicht davon abhielt Leistungen nach AsylBLG in Anspruch zunehmen und trotz Wohnsitzauflage Freunde und Familie im gesamten europäischen Ausland zu besuchen.

Bei den Frauen ist es zuweilen eine Flucht vor dem Ehemann oder der Familie, die mit der Aussage in Syrien oder Afghanistan könne man nicht leben kaschiert wird. Dabei möchte ich betonen, daß m.M.n. gerade die individuelle Verfolgung als Frau, als Schwuler oder als Christ im Asylverfahren extrem schwer zu beweisen ist und deshalb vom BAMF meist bestritten wird. Damit werden gerade die wirklich verfolgten viel zu oft im Stich gelassen.

Weibliche Flüchtlinge, die mit ihrer Familie kamen, setzen ihr gewohntes Leben hier oft nahtlos fort. Kontakt zu Deutschen gibt es nur in der Unterkunft und eher zufällig, denn nur wenige der Frauen gehen ohne Begleitung aus dem Haus. Zum einen erlauben es viele Männer einfach nicht, zum anderen kommen viele Frauen auch gar nicht auf die Idee. Selbst mit Ausflugsangeboten kann man sie nicht locken, so fern jeder Vorstellbarkeit ist ein solches Unterfangen.
Einige Frauen, nach meiner Erfahrung meist Afghaninnen, trennen sich hier von ihren Männern, weil sie Unterdrückung und Schläge leid sind und merken, daß man in Deutschland keinen Mann zur Existenzsicherung braucht. Hurra! Allerdings habe ich mal mit 3 solchen Frauen geplaudert und vorgeschlagen, sie könnten es ja mal mit einem deutschen Mann versuchen. Da könnten sie nahezu sicher sein, nicht geschlagen und unterdrückt zu werden. Großes Gelächter war die Folge, völlig undenkbar mein Vorschlag. Warum wurde mir nicht verraten.

Und dann gibt es noch die Single-Frauen und alleinerziehenden Mütter. Um deren Fluchtgeschichten zu erfahren braucht es viel Zeit und vertrauensbildende Maßnahmen, denn Trennungen, auch von einem drogensüchtigen Schläger, werden als größtmögliche Schande betrachtet, über die man niemals spricht. Oft nichtmal im BAMF-Interview, was dann dazu führt, daß die massive Verfolgung als Frau gar nicht berücksichtigt wird.
Alle Frauen in Notunterkünften sind extrem unter Druck. Die Männer betrachten aber vor allem die alleinstehenden Frauen als Freiwild, insbesondere wenn sie sich „unzüchtig“ kleiden. Ständige anzügliche Bemerkungen und Blicke sind an der Tagesordnung. Manche trauen sich nachts nicht auf die Toilette, weil sie fürchten, dann in die nächste dunkle Ecke gezerrt zu werden. Auch untereinander betrachten sich die Frauen äußerst argwöhnisch. Wer den Hijab nicht stramm genug bindet gerät schnell in Verdacht nicht ausreichend rechtgläubig zu sein. Mütter ermahnen andere Mütter ihre Töchter strenger zu erziehen, die Jungs dagegen dürfen selbstverständlich alles. Viele Frauen sind geradezu stolz auf das respektlose, aggressive Verhalten ihrer Söhne.

Das positivste Erlebnis war meine Begegnung mit meiner jetzigen guten Freundin, die ich kennenlernte als sie kaum eine Woche in Deutschland war. Ich war zufällig ihr erster nicht behördlicher deutscher Kontakt und schon bei unserem ersten Treffen unter 4 Augen platzte ihre komplette Fluchtgeschichte aus ihr heraus. So sehr mich die Geschichte mitnahm, so sehr habe ich mich über ihr Vertrauen gefreut. Es entwickelte sich eine wunderbare Freundschaft. Seitdem ist sie mein Fenster in die arabische Welt. In langen Gesprächen mit ihr habe ich einen tiefen Einblick in die kulturellen und religiösen Unterschiede und Gemeinsamkeiten gewonnen. Das hat meinen Blick auf die Dinge erheblich verändert.

Ich denke nicht mehr, alle die herkommen sind froh der Hölle in der Heimat entkommen zu sein und dankbar endlich hier sein zu dürfen. Was sind wir doch für Rassisten wenn wir selbstverständlich davon ausgehen, daß unsere Lebensweise so toll ist, daß jeder sie bereitwillig übernimmt und seine mitgebrachte achtlos hinter sich läßt. Wir würden das doch auch nicht tun. Selbst die Frauen, die erheblich unter Mann und Familienclan leiden, sehen ihr Dasein als kleineres Übel, verglichen mit einem einsamen Leben in unserer atomisierten Gesellschaft.

Als eben jene Freundin ihre Ablehnung bekam habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Daß ausgerechnet sie mit ihrer äußerst heftigen individuellen Verfolgungsgeschichte abgelehnt wurde und gleichzeitig Leute, die nichts weiter vorzubringen hatten als: ich komme aus Afghanistan, da ist Krieg. durchgewunken wurden, hat mich sehr wütend gemacht. Ich hatte von Schwierigkeiten beim BAMF-Interview gehört mit schlechten Übersetzern, ungeduldigen Anhörern, die nicht ausreden lassen, Frauen, die sich nicht trauten vor männlichen Übersetzern über schambesetzte Dinge zu sprechen und natürlich von dem Druck unter dem man wichtige Dinge vergißt oder vertauscht. Also habe ich mit ihr das Interview vorbereitet, habe sie begleitet. Alles lief wunderbar. Sie hat über 6 h alles zu Protokoll gebracht, Anhörer und Übersetzer waren sehr zugewandt und geduldig. Trotzdem kam die Ablehnung und in der Begründung sah man deutlich, daß der Entscheider unter Zeitdruck mit Textbausteinen eine Begründung nach Schema F zusammengeschustert hat, sich gar nicht mit dem Einzelschicksal auseinandergesetzt hat. Woran man wieder mal sieht, alle am Verfahren Beteiligten sind hoffnungslos überfordert, niemand hat Zeit sorgfältig zu arbeiten, was dazu führt, daß Gefährder problemlos durchgewunken werden und tatsächlich Schutzbedürftige Standardabsagen kassieren.

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AG F+M Ehrenamtliche sortiert Spenden in der St. Josef Kirche

Ein ganz anderes Negativerlebnis hatte ich, als eine Flüchlingsfrau sich abfällig über eine andere äußerte und ich mit den anderen Helferinnen diskutieren wollte, wie wir mit den beleidigenden Äußerungen der muslimischen Syrerin unserer christlichen Übersetzerin, meine Freundin, gegenüber umgehen wollen. Ich war der Meinung, daß hier eine rote Linie überschritten wurde und wir für unsere Werte einstehen müssen. Die Syrerin fragte, warum die inzwischen verheiratete Übersetzerin kein Kopftuch trägt und warum ihr Mann ihr überhaupt gestattet ehrenamtlich zu arbeiten, wo das doch eh niedere Arbeit ist, zu der sie selber sich nie herablassen würde. Als die Übersetzerin mir davon erzählte war sie sehr aufgebracht und verletzt. Ich konnte deshalb in der Diskussion nur mühsam an mich halten während mit Elan versucht wurde Entschuldigungen für dieses Verhalten zu finden. Von Missverständnissen in der Kommunikation (beides arabische Muttersprachler) über Unkenntnis der hiesigen Höflichkeitsregeln bis zu psychischen Problemen, auf die man Rücksicht nehmen müsse war alles dabei. Selbst die Aussage der Übersetzerin selber, daß sie den Eindruck hatte es ginge darum sich als Muslima moralisch über sie als Christin zu erheben wurde wegrelativiert. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Als wir danach zu zweit das Gespräch verdaut haben, sagte sie mir, sie hatte den Eindruck die anderen meinen, sie kennen die arabische Kultur besser als sie selber. Was für eine Arroganz! Am Ende wurde mir mein Beharren auf Regeln für unsere Gruppe und deren Durchsetzung als Hartherzigkeit und Rassismus ausgelegt. Einerseits fühlt es sich verdammt mies an, plötzlich als Nazi dazustehen. Andererseits ertrage ich diese Ignoranz den unschönen Realitäten gegenüber nicht länger, weshalb ich auch hier gern meine Erfahrungen mitteile.

Viele weitere Negativerlebnisse hatte ich mit Leuten, die mich um Rat fragten, aber dann genau das Gegenteil taten. So z.B. eine Irakerin, die meinte eine Heirat würde ihr das Bleiberecht sichern. Ich sagte ihr, daß nur eine standesamtliche Hochzeit mit einem Deutschen, für die viele schwer zu besorgende Papiere aus der Heimat nötig sind, von Vorteil wäre. Beim nächsten Treffen erzählte sie mir von einem Libanesen, womöglich selbst mit ungesichertem Aufenthaltsstatus, den sie vor einem Imam geehelicht hat. Nun wunderte sie sich, daß der gar nicht für sie aufkommen wollte und sich auch bei der Ausländerbehörde niemand für diese Ehe interessierte. Da wurde mir klar, wie wenig mein Wort gilt im Vergleich mit einem windigen Libanesen.

Die Situation ist weder schwarz noch weiß. Es ist heute wichtiger denn je zu differenzieren, denn die Töne werden auf beiden Seiten immer schriller. Weder „Ausländer raus“ noch „no boarder-no nation“ ist die Lösung.
Wer möchte, daß Integration gelingt, ist natürlich eher geneigt unschöne Erlebnisse zu relativieren. Aber nach 2 Jahren stelle ich fest, daß diese Tendenz sich bei vielen Helfern, die noch nicht entnervt das Handtuch geschmissen haben, zur Realitätsverleugnung gesteigert hat, damit das Weltbild nicht zusammenbricht. Im migrationskritischen Millieu wird dagegen Häme über Leute ausgeschüttet, die mit ihrer Gutmütigkeit auf die Nase gefallen sind. Die Fronten verhärten sich und man kann kaum noch unbefangen diskutieren. Ich merke an mir selber, wie ich meine Aussagen an mein Gegenüber anpasse, aus Angst in die rechte Ecke gestellt oder zum naiven Gutmenschen zu werden, im Netz genauso wie im richtigen Leben.

In den letzten Jahren hat sich eine ganze Industrie rund um die Flüchtlinge etabliert, die bei einem Schwenk in der Migrationspolitik ihre Felle davonschwimmen sieht. Da gibt es reihenweise Helfer, die sich professionalisiert haben und inzwischen von Caritas und Diakonie regulär bezahlt werden. Heimbetreiber und Besitzer von heruntergekommenen Hostels und Pensionen verdienen sich gerade eine goldene Nase bei Tagessätzen von 15-25€/p.P.. Schwarzmakler fordern horrende Preise für die Vermittlung von Sozialwohnungen. In den Heimen gibt es außerdem Jobs für Sozialarbeiter, Pädagogen und Security. Übersetzer mit einschlägigen Sprachkenntnissen sind heiß begehrt. Behörden wie BAMF, Ausländerbehörde und auch Schulen haben ihr Personal massiv aufgestockt. Anwälte für Asylrecht können sich kaum retten vor lauter Fällen. Und dann gibt es noch die eine oder andere Professur für Migrationsforschung. All deren Existenzen hängen vom weiteren Migrantenzustrom ab. Da wundert es nicht mit welch verbissenem Eifer Kritiker geschmäht und mundtot gemacht werden. Ich dachte als Ehrenamtler kann ich Kritik üben, weil man mir nicht vorwerfen kann, ich hätte keine Ahnung. Weit gefehlt. Im Zweifel habe ich nie genug oder zu einseitige Erfahrungen gesammelt, bin nicht kultursensibel genug oder habe schlicht die falsche Einstellung.

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